Was hat sie getan, dass er so ausrastet?

Nach einem Femizid wird immer wieder davon ausgegangen, dass die Frau der Auslöser ihrer eigenen Ermordung war. Zu wenig wird gefragt, warum der Mann zu einer solchen Tat fähig war oder warum ihn niemand stoppen konnte.

Wir haben 2025 unseren ersten Femizid in Deutschland. Direkt nach Neujahr. Kein Wunder. Zu den Feiertagen ereignen sich die meisten Gewalttaten in Familien und in der Partnerschaft. Männer sind nun zuhause und haben mehr Zugriff auf ihre Angehörigen. Die Nerven sind bei allen angespannt, Emotionen kochen hoch, Streit eskaliert. Oder aber, lang geplante Tötungsfantasien werden nun in die Tat umgesetzt. Es ist Hamburg, 2. Februar 2025, als ein 38-jähriger Mann seine gleichaltrige Frau mit einem Messer tödlich verletzt – vor den Augen des dreijährigen Kindes. Sie stirbt noch vor Ort.

Als ich mit Kolleg:innen und Bekannten darüber spreche, fällt mir eines besonders auf – niemand kann diese Tat für sich so richtig einordnen, es gibt eine diffuse Bestürzung, aber niemand weiß, wie er oder sie damit umgehen soll. Und noch etwas ist bemerkenswert, ich bekomme Fragen und Kommentare wie: „Was hat die Frau denn gemacht, dass der Mann so ausgerastet ist?“ „Egal, was sie getan hat, deswegen muss man nicht gleich zustechen.“ oder „Vermutlich war der Mann angetrunken, im Alkoholrausch kann so etwas leichter passieren.“ Ich bin schockiert. Denn, in all den Aussagen wird der Täter in Schutz genommen. Die Frau muss ihn gereizt haben, sie war der Auslöser, sie hat ihn zur Weißglut gebracht und außerdem war der arme Kerl vermutlich alkoholisiert. Da kann man schon mal zum Messer greifen und im Affekt zustechen – auch wenn sich das nicht gehört. Als ob das Abstechen seiner Frau ein Kavaliersdelikt sei. Wenig ehrenrührig, aber irgendwie verständlich. Nun ist es aber so: Frauen werden von ihren (Ex-)Partnern nicht ermordet, weil sie sich nicht benommen haben (was auch immer darunter zu verstehen ist). Sie werden getötet, weil sie Frauen sind. So einfach, so schlimm. Während in ausländischen Medien genau deshalb der Begriff Femizid in den Nachrichten erscheint, wird in Deutschland eine solche Tat noch immer nicht eindeutig benannt.

Keine Affekt-Handlung

Beschäftigt man sich mit Femiziden, dann wird schnell klar, solche Taten passiere selten im Affekt. Sie haben fast immer eine Vorgeschichte, teils voller Gewalt, und sie sind meist geplant. Die Tatwaffen werden beschafft, der Zeitpunkt und der Ort genau gewählt und die Frau im richtigen Moment abgepasst. Bis ein Mann die Tat ausführt, durchläuft die Beziehung zu seinem Opfer mehrere Phasen. Das sogenannte 8-Stufen-Modell wurde von der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith aufgestellt. Auch gibt es mittlerweile einen Fragebogen zur Risikogefährdung von Frauen, anhand dessen sie oder die Polizei feststellen kann, ob ihr Partner vorhat, sie zu töten.

Unsere Omas waren noch im Besitz ihrer Ehemänner

Bevor hier der Eindruck entsteht, man würde alle Männer als grundlegend böse und frauenfeindlich einstufen, hier ein kurzer Disclaimer – wir leben in einer frauenfeindlichen Welt mit patriarchalen Strukturen, in den wir alle daran mitwirken, dass Mädchen und Frauen wirtschaftlich benachteiligt sind, somit in größerer Abhängigkeit leben und damit stärker Gewalt ausgesetzt sind. Und wir haben alle trotz Aufklärung und Fortschritt noch ziemlich klischeehafte Bilder von Mann und Frau und vor allem von Familie im Kopf. Unsere Omas waren noch „im Besitz“ ihrer Ehemänner, hatten kein eigenes Einkommen, wenn er es nicht wollte, waren damit wirtschaftlich völlig abhängig und durften erst 1977 frei einer Erwerbstätigkeit nachgehen, während sie das vorher nur durften, wenn sie ihre häuslichen Pflichten nicht vernachlässigten. Auch heute noch hängt die Care-Arbeit an Frauen, was dazu führt, dass sie oft nur Teilzeit arbeiten und über eine geringere wirtschaftliche Kraft verfügen. Das macht abhängig. Das Recht des Mannes, über die Ehefrau sexuell jederzeit verfügen zu dürfen, wurde erst 1997 abgeschafft, als die Vergewaltigung in der Ehe endlich als Straftat anerkannt wurde.

Trennung bedeutet Lebensgefahr

Gerade dieses geschichtlich noch bis heute nachwirkende Besitzdenken vieler Männer und die Angst vor Kontrollverlust, wenn die Frau ihn verlassen möchte, führen bei einigen dazu, dass sie für sich keine andere Lösung sehen, als die Frau zu töten. Wenn sie sie nicht haben können, dann keiner. Die Phasen bis zum Mord beginnen damit, dass der Mann die Frau in der Beziehung sehr früh sehr fest an sich bindet und schnell stärkere Kontrollmechanismen auffährt. Er möchte nicht, dass sie sich mit bestimmten Freund:innen trifft, will, dass sie den Kontakt zur eigenen Familie einschränkt. Er kontrolliert ihr Handy oder nimmt es ihr ganz weg. Manche tracken ihre Frau per GPS-Sender oder stalken sie auf dem Weg zur Arbeit oder zu Verabredungen. Wird es der Frau zu viel und sie trennt sich, dann ist das der Moment, in dem die Frau oft schon in Lebensgefahr schwebt. Die Trennung ist der sensibelste Moment für sie. Hier entsteht oft der sogenannte Trigger beim Mann, der dann zur Eskalation führt. Er bedrängt sie massiv, will sie umstimmen, zu ihm zurückzukehren. Kommt es dann zu einem erneuten Treffen, passiert es nicht selten, dass hier der Mann die Frau körperlich bedroht, bereits Gewalt anwendet oder sogar schon einen ersten Tötungsversuch unternimmt. Die Gefahr, dass der Täter nun – trotz polizeilicher Auflagen – einen tatsächlichen Mord plant, ist nun immens hoch. 

Durch alle Schichten hindurch

In Hamburg war es ein 38-jähriger Software-Manager, der seine gleichaltrige Frau, eine Managerin bei der Lufthansa, niederstach. „Was? Ich dachte, so etwas passiert nur in sozial schwachen Familien,“ so meine Nachbarin, als ich ihr die Berufe und das Alter der beiden nenne. Das zeigt, Gewalt gegen Frauen verläuft durch alle Schichten. Und es ist nicht einmal kultur- oder religionsspezifisch. Es existiert in jedem Land, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. In Europa werden die meisten Femizide in Deutschland gezählt, wobei die hohe Zahl mit der hohen Einwohnerzahl zusammenhängt. Die bevölkerungsbezogene Rate war jedoch in Griechenland am höchsten, gefolgt von Portugal und Malta.

Teil der Popkultur

Wie normal männliche Eifersucht und tödliche Liebe in unserer Gesellschaft erlebt wird, zeigt sich sehr deutlich in unserer Popkultur: Die Toten Hosen mit ihrem Lied „Alles aus Liebe“, „Under my thumb“ von Mick Jagger oder das gewaltverherrlichende Video von Maroon 5 zum Song „Like Animals“ sind nur einige Beispiele aus der Popmusik. In Filmen wie „Passengers“ oder der Literatur wie „Woyzeck“ wird Gewalt gegen Frauen in Beziehungen immer wieder romantisiert. Viele True Crime Podcasts tun derzeit ihr übriges.

Keine Einzelschicksale, keine Verzweiflungstat

Was bei der Berichterstattung immer wieder auffällt, ist, dass die Beziehungstaten oft als Einzelschicksale beschrieben werden. Immer wieder wird davon berichtet, dass es Beziehungsprobleme gegeben hätte, einen Streit, Rosenkrieg, ein Ehedrama, es sei eine Verzweiflungstat gewesen. Im jetzigen Fall in Hamburg wird der Frau sogar angedichtet, sie habe ihr Kind mit Kokain vergiften wollen. Dabei stirbt jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Und der Weg vom Beginn der Beziehung bis zur Tötung folgt immer gleichen Mustern. Es muss endlich erkannt werden, dass diese Taten gesellschaftlich einzubetten sind in unsere patriarchalen Strukturen. Es braucht ein Netzwerk, das Frauen, die sich von gewalttätigen Männern trennen wollen (das kann auch psychische oder finanzielle Gewalt sein), nach der Trennung auffängt und schützt, gerade, wenn Kinder mit im Spiel sind. Wir sollten endlich begreifen, dass dies der Grund ist, dass Frauen sich so lange nicht trennen und vor gewalttätigen Partner weglaufen, weil der Terror nach der Trennung oft noch schlimmer sein kann als davor – bis hin zum Mord.

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….Und jetzt, nachdem ich über diesen Fall nachdenke und mich mit dem 8-Stufen-Modell der Kriminologin Jane Monckton Smith beschäftigt habe, fällt mir ein, dass ich allein vier Mütter kenne, die nach der Trennung von ihren Männern immer noch psychische Gewalt erfahren und mit Drohungen konfrontiert werden. Zwar besteht bei ihnen mit Sicherheit keine Gefahr für Leib und Leben, aber die Kränkung des Mannes durch die Trennung der Frau hat extreme Nachwirkungen. Und das schlimmste, die Frauen haben immer wieder ein ungutes Gefühl, teils Angst, trauen sich nicht zu wehren, wollen ihre Kinder nicht gefährden und halten deswegen still.

Ist gleich vorbei – Gewalt beim Frauenarzt

Ich bin heute in einer gynäkologischen Praxis, um mir ein Pessar anpassen zu lassen. Das ist ein würfelähnliches Ding aus Silikon, was in der Vagina Stabilität erzeugt, wenn man unter Senkungsschmerzen leidet. Auf Deutsch gesagt, wenn alles unten hängt, weil man zum Beispiel Zwillinge geboren, diese auch danach gleichzeitig getragen hat und nie die Chance auf Rückbildung hatte. Ja, das gibt’s. Das kann zu Inkontinenz führen, erschwerter Verdauung und Schmerzen in den Organen und Muskeln, weil im unteren Bauch und Beckenbodenbereich die Stütze vollkommen weg ist und nichts mehr an seinem richtigen Platz ist, also auch einiges eingequetscht werden kann. Das kann bis zu massiven Darmbeschwerden und höllisches Brennen und Stechen im Körper führen, hat also weitreichende Folgen.

Der Arzt – ein älterer Herr, bei dem ich sonst nicht bin, der aber die Praxis leitet – habe ich den Termin. Ein erfahrener Mann, der sich aber mehr als unerfahren benimmt. Er holt das Pessar aus der Packung – mit bloßen Händen. Er trägt keine Handschuhe und nimmt es in seine Faust, während er noch einmal zurück zum Computer geht, um irgendetwas nachzuschauen. Er hält es in Händen, die bereits Türklinken und spackige Tastatur angefasst haben, durch seine Haare gestrichen und unter seiner Nase entlangefahren sind. Dann fällt ihm das Pessar auf den Boden. Tschuldigung nuschelt er und ich gehe davon aus, dass er es in den Mülleimer wirft und ein neues holt. Nein, er wäscht es unter fließendem Wasser ab. Ich denke, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, dass es auf den Boden gefallen ist und jetzt endlich von den Keimen seiner Hände gereinigt wird. Als er fertig ist, knallt er es wieder ungeschützt auf eine sich daneben befindliche Ablage. Keine Ahnung, ob diese sauber ist.

Ich beobachte alles vom gynäkologischen Stuhl aus, auf dem ich mit zusammengekniffenen Knien sitze und denke an meine Vagina, die auf Keime schnell mal mit einer Entzündung reagiert und in die ich keine Keime vom Boden haben möchte. Dann zieht er Handschuhe an, schmiert Gleitgel auf das Pessar, was mich erneut ein wenig beruhigt, da es wieder eine Schutzschicht bedeutet. Er steht vor mir uns schiebt unter Gewalt das Pessar in meine Vagina. Ich ziehe laut Luft durch meine Zähne und rufe „Au!“. „Ja, ist ja auch gleich vorbei,“ antwortet er lapidar. In dem Moment werde ich still.

Jetzt wäre der Moment, sich zu beschweren, aufzustehen und zu gehen. Aber ich sage nichts. Ich bin wie betäubt. Er zieht es wieder heraus und ich überlege kurz, ob es wieder so wehtun würde. Er befindet das Pessar für gut und verschreibt es mir. Ich ziehe mich wieder an, sitze stumm auf dem Stuhl und warte, bis ich alles ausgehändigt bekomme. Er scheint selbst ein wenig zu bemerken, dass ich sehr still geworden bin. Sagt noch so etwas, wie „Ich hoffe, das wird ihnen helfen“, während ich nur daran denke, wo ich mich schnellstmöglich waschen kann.

Als er die Worte „Es ist gleich vorbei“ sagte, fiel mir der ZEIT-Podcast „Ist das normal ein?“ ein. Und zwar die Folge vom 6. Mai 2024 zum Thema Gynäkologie. „Sätze wie ‚Geht auch schnell‘ oder ‚Schicke Intimfrisur‘ sind Gewalt“ sagen die Ärztinnen Colette Gras und Claudia Schumann-Doermer. Und genau das habe ich soeben erlebt. Ich bin froh, dass ich kein Mensch bin, der in seinem Leben bereits Opfer massiver sexueller Gewalt geworden ist, sonst wäre ich in dem Moment sicherlich stark retraumatisiert worden. Aber dennoch: auch ich erlebe diesen Moment als Gewalt.

Ich bekomme während meines Besuchs in der Praxis und in Präsenz dieses Mannes den Mund nicht auf, ich traue mich nicht zu sagen „Das war nicht in Ordnung“ und gleichzeitig denke ich, es bringt auch nichts, nur ihm das zu sagen, es muss das ganze Team erfahren. Der leitende Arzt würde es vermutlich nur vertuschen und nicht weiter thematisieren wollen. Also entschließe ich mich dazu, eine Email an die gesamte Praxis zu schreiben, und die gesamte Belegschaft auf das Thema Gewalt in der Gynäkologie aufmerksam zu machen, ohne mit dem Finger auf den besagten Arzt zu zeigen. Den ZEIT-Podcast mit den Hosts Melanie Büttner und Sven Stockrahm schicke ich gleich mit dazu.

>>Danke, dass es Euch beiden gibt, denn so fühle ich mich gerade nicht ganz so allein und ausgeliefert.<< https://www.zeit.de/gesundheit/2024-05/gynaekologie-arzt-angst-scham-sexpodcast

Du wusstest doch, auf was du dich einlässt

„Sie haben aber doch gewusst, auf was Sie sich einlassen,“ sagt die Ärztin zu mir, während sie meine Haut nach möglichen Krebsflecken untersucht. Es durchzuckt mich. Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas höre. „Ja, ja, natürlich!“, antworte ich schnell. „Deswegen habe ich ja auch schon vorgesorgt und mir ein Netzwerk aufgebaut.“ Ich lenke ab. Was soll dieser scheiß Satz!?, denke ich. Man sagt doch auch nicht, Sie wussten doch, dass der Straßenverkehr gefährlich ist und tödlich sein kann. Jetzt wundern sie sich nicht, dass sie querschnittsgelähmt sind. Oder, Sie wussten doch, dass eine Geburt schmerzhaft sein kann. Jetzt heulen Sie nicht rum und beschweren sich, dass die Ärzte ihnen noch zusätzlich Gewalt angetan haben. Oder Sie wussten doch, dass in der Medienbranche Arbeit ausbeuterisch und schlecht bezahlt ist, mit langen Arbeitszeiten und ohne freies Wochenende. Jetzt beschweren Sie sich nicht, dass Sie ein Burnout haben. Oder, Sie wissen doch, dass Männer im Büro sexistisch sein und auch mal zulangen können. Jetzt haben Sie sich mal nicht so.

Na klar, es gibt vieles, was ich weiß. Heißt das dann im Umkehrschluss, dass nur der auf Verständnis stoßen kann, der dumm und naiv durch die Gegend läuft? So, wie man Menschen an den Pranger stellen und vor Gericht zerren will, weil sie trotz HIV ohne Verhütung Geschlechtsverkehr hatten? Wenn sie um ihre Erkrankung wissen, dann können sie verantwortlich gemacht werden. Wer sich hingegen nie testen lässt, sich nie fragt, ob er selbst oder der andere krank sein könnte, muss hingegen nichts befürchten. Der Spruch „Dumm f**** gut“ stimmt an dieser Stelle wohl. Oder wie ist das zu verstehen?

Die meisten Frauen auf dieser Welt sind mit Männern zusammen, von denen sie abhängig sind. Meist finanziell. Ihnen alle könnte man vorwerfen, dass sie das doch hätten wissen müssen. Jetzt sollen sie sich halt fügen und nicht beschweren. Okay, was ist denn dann die Alternative? Keinen Mann mehr heiraten? Überhaupt nicht mehr mit Männern zusammen sein?

Ja, die meisten von uns lassen sich auf Menschen ein, die ihnen nicht immer gut tun, mit denen sie Schwierigkeiten haben, mit denen es nicht immer harmonisch läuft. Nicht immer gibt es eine komplett freie Wahl. Am Arbeitsplatz, in der Schule, in der Familie, in der Beziehung. Ja, ich hätte mich gegen den Mann meiner Kinder entscheiden können. Dann hätte ich keine Kinder gehabt. Nun habe ich sie aber – mit ihm. Dass er sich das Recht herausnimmt, weitestgehend abwesend zu sein, finde ich trotzdem scheiße. Und nein, das hätte ich nicht gedacht, dass es so schlimm werden könnte. Selbst wenn. Ich habe ein Recht dazu, zu sagen, dass ich etwas so nicht haben möchte, dass ich so nicht behandelt werden möchte, dass ich es anders haben will. Dass ich mein Recht einfordere, dass ich Gleichberechtigung möchte, dass ich die gleichen Chancen haben möchte, finanziell, sozial, privat. Dass ich ein Recht auf mein eigenes Leben habe. Und nicht völlig fremdbestimmt sein möchte.

Würdest du es wirklich wagen, einer Frau, die geschlagen wurde, zu sagen, sie haben doch gewusst, dass er cholerisch und aufbrausend ist. Was wundert sie sich jetzt, dass er sie geschlagen hat. Warum wundert sie sich, dass jemand so sein kann. Sie wussten doch vorher, worauf sie sich einlässt. Ich glaube, es gibt viele, die genau das sagen und denken. Genau wie mit Prostituierten: sie wüssten doch, worauf sie sich einlassen, da müssten sie sich nicht wundern, vergewaltigt, geschlagen und gedemütigt zu werden (als sei das Teil des Geschäfts… ist es eben nicht!) Oder mit Leuten, die in ausbeuterischer Arbeit stecken, dass sie da jederzeit aussteigen und was anderes machen könnten. Dass wir angeblich alle frei wären, frei entscheiden könnten, was wir heute tun und was morgen.

Wir alle befinden uns in sozialen und wirtschaftlichen Zwängen. Wir können oft nicht aus unserer Haut. Wie viele trauen sich nicht, von zu Hause wegzuziehen, weil sie ihre Eltern nicht enttäuschen wollen. Wie viele trauen sich nicht, gegen Mobbing vorzugehen, weil sie sonst Angst haben, sie könnten ihren Job verlieren. Wie viele trauen sich nicht, sich gegen einen zudringlichen Chef zur Wehr zu setzen, weil sie vom Job abhängig sind. Und wie viele bleiben in einer Beziehung, weil sie es finanziell selbst sonst nicht schaffen würden oder auch kräftemäßig mit den Kindern alleine klarzukommen. Es gibt so vieles, was uns gefangen hält. Deswegen geben wir noch lange nicht die Eigenverantwortung auf. Viele, die in solchen Situationen stecken, wünschen sich nichts sehnlicher als auszubrechen, aber der Verlust oder das Neue könnten noch schlimmer sein als das Alte (siehe Frauen, die sich von ihren Männern trennen und dann erst die ganze Tyrannei kennenlernen, zu der der Mann imstande ist).

Deswegen muss einem nicht zum Vorwurf gemacht werden, man müsse das jetzt ertragen und ausbaden und es geschehe einem recht, weil man es ja hätte wissen müssen. Klarer Fall von Victim Blaming.

Wie Du 149 Stunden in einen 24-Stunden-Tag packst

Hallo Ihr Larmoyanz-Muttis, ihr Versagerinnen, ihr Jammerlappen mit Cellulite und Hängebrüsten: Jeder Mensch hat 24 Stunden. Warum sind manche aber erfolgreich und andere nicht? Es kommt eben ganz darauf an, wie Du diese 24 Stunden nutzt! Ganz einfach: Du musst Prioritäten setzen. Nein, es hat nichts mit der sozialen und wirtschaftlichen Situation zu tun, wie Du diese 24 Stunden füllen kannst. Es hat nichts damit zu tun, dass Du mit Care Arbeit völlig davon abgebracht werden könntest, Deinen Träumen weiter hinterherzujagen oder die beste Version Deiner selbst werden zu können. Es ist eine Sache des Mindsets – und nichts anderes! Du musst dich einfach nur besser strukturieren, manifestieren und durchziehen. Disziplin ist das Zauberwort. Geh einfach früher ins Bett, dann gibt es kein Burnout. Aber reiß dir auch den Arsch auf, wenn du wirklich was erreichen willst statt an so etwas schnödes wie Urlaub zu denken. Nutze die frühen Stunden des Tages, wie alle erfolgreichen Menschen dieser Welt. Aber lege auch Nachtschichten, wenn Du es wirklich ernst mit Deinen Zielen meinst. Krankheit, Erschöpfung, unvorhergesehene Ereignisse, Schicksalsschläge, die sind nur dafür da, damit du noch härter arbeiten willst. Denn Hindernisse dienen nur dazu, damit du dich fragst, wie sehr du wirklich deine Träume verwirklichen willst. Da gehören sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, weniger Gehalt wegen Vagina, Mental Load, da weiblich, weniger Zeit wegen Kinderbetreuung, etc. halt dazu und sollen dir, Bitch, einfach nur vor Augen halten – wie sehr willst du es wirklich, na, komm schon, wie sehr? Und bitte, tu mir den Gefallen und sieh mit 55 nicht aus wie 55, sondern immer noch wie 35, sonst bist du einfach nur noch ein Fall für die Tonne. So, ich erzähle Euch Müttern jetzt mal, wie ich das mache und wie mein Tag so aussieht. Unten ist alles Schritt für Schritt aufgeschrieben – ganz leicht für Euch zum Nachmachen:

Morgens früh um 5 klingelt mein Wecker. Ich wache nach acht Stunden Schlaf gut erholt auf. Schwinge mich aus dem Bett, öffne das Fenster und lasse als erstes Sonnenlicht auf meine Haut fallen – was natürlich zu jeder Jahreszeit gegeben ist. Dann gehe ich ins Bad, trinke zwei Becher warmes Wasser. Dann mache ich mir einen Smoothie und frisch gepressten Saft und einen Bulletproof Kaffee. Am offenen Fenster setze ich mich in Meditationshaltung und meditiere für 10 Minuten. Dann gehe ich für 30 Minuten joggen und mache noch eine Stunde Yoga. Um sechs Uhr dusche ich, brause mich zum Schluss kalt ab, creme mich danach ein, bearbeite mein Gesicht mit einem Mikrostromgerät gegen Falten, trage zehn verschiedene Cremes auf mein Gesicht auf, style meine Haare, ziehe mich an und mache Journaling. Dann bereite ich Frühstück für die Kinder vor, räume die Spülmaschine vom Vorabend aus, hole Klamotten aus dem Trockner und achte darauf, dass die Wohnung ordentlich ist.

Um sieben Uhr wecke ich meine Kinder. Auch sie sind ausgeschlafen und gut gelaunt. Sie trinken vom selbst gemachten Smoothie und frisch gepressten Saft, gehen auf die Toilette, ziehen sich mit meiner Unterstützung an und begrüßen mit mir den Tag. Wir machen ein paar Achtsamkeitsübungen, ein paar Übungen aus der Ergotherapie und dann machen wir ein paar Schreib- und Leseübungen aus der Vorschule. Natürlich machen sie alles glücklich mit, keiner murrt oder verweigert sich. Dann frühstücken wir endlich zusammen. Und nein, Kinder dürfen beim Frühstück nicht hetzen. Sie benötigen 20 Minuten, um ihr kleines Müsli aufzuessen. Dann gehen sie noch einmal eine Runde aufs Klo, ziehen ihre Schuhe, Jacken, ggf. Schal und Mütze an, Fahrradhelme, Handschuhe im Winter. Es ist natürlich erst 7:45. Da müssen wir nämlich los, um rechtzeitig in der Vorschule zu sein. Aber all das haben wir natürlich locker bis dahin geschafft. Um 8:15 kommen wir in der Vorschule an. Hier muss ich in der Fantasiewelt nur ein Küsschen geben, Tschüss winken und die Kinder gehen fröhlich allein hinein und machen alles selbst. Um 8:30 kann ich endlich aus dem Gebäude in die Freiheit stürmen. Da wartet der erste Latte Macchiato auf mich. Gut gelaunt fahre ich mit dem Fahrrad weiter zur Arbeit. Es regnet nicht, ich werde weder nass noch dreckig von schlammigem Boden oder Pfützen. Ich muss mich nicht umziehen und komme gleich mit perfekt sitzender Frisur an – trotz Helm.

An der Arbeit bin ich gut gelaunt in Meetings, arbeite stringent und fröhlich an meinem Computer, mache eine Stunde Mittagspause, habe angeregte Gespräche mit Kolleg:innen und gehe dann noch eine halbe Stunde spazieren. Dann gehe ich weiter meiner Arbeit nach, die ja 8 Stunden beträgt, damit ich ausreichend verdienen und in meine Rente einzahlen kann. Aber natürlich fällt bei mir schon um 15 Uhr der Hammer, damit ich rechtzeitig meine Kinder abholen kann. Ich habe alles an der Arbeit erledigt, was es zu erledigen gibt, weil ich mich dank mentalen Trainings und Zeitmanagement-Apps immer bestens konzentrieren kann. Fahre danach beschwingt mit dem Fahrrad los, hole um Punkt 15:30 meine Kinder ab, die mir fröhlich entgegengerannt kommen und mich umarmen. Wir fahren mit den Rädern los, essen ein Eis, gehen auf einen Spielplatz, fahren Tretboot, gehen dann zum Kindersport und zum Musikunterricht. Dann erledigen wir noch den Einkauf, treffen andere Kinder zum Spielen und nehmen einen Kontrolltermin beim Zahnarzt wahr. Und sind natürlich um Punkt 18 Uhr zuhause, damit ich frisch für die beiden kochen kann. Sie helfen natürlich mit und alles läuft sehr harmonisch. Wir essen gemeinsam und plaudern angeregt über den Tag. All das haben wir in nur einer Stunde geschafft, so dass die Kinder jetzt rechtzeitig ins warme Bad gehen, ihre Klamotten ausziehen und sich ausgiebig waschen können. Dann ziehen sie ihre Pyjamas an. Sie sind kein bisschen abgelenkt, wollen nicht nochmal spielen oder toben oder irgend etwas anderes. Sie haben keine Launen und sind auch nie krank, weil sie alle Vitamine und Mineralien bekommen, die sie brauchen. Dann putzen wir gemeinsam die Zähne, sie müssen nochmal aufs Klo, was trinken, ich lese ihnen eine Geschichte vor, halte noch eine Weile ihre Hände, dann schlafen sie natürlich sofort ein. Ich stehe auf.

Jetzt muss ich mich aufteilen, was für mich überhaupt kein Problem ist. Eine Person von mir macht jetzt die Küche sauber, räumt das Wohnzimmer auf und bereitet alles für den nächsten Tag vor, arbeitet am Laptop noch ein paar Versäumnisse des Tages nach und faltet Klamotten zusammen, bestellt neue Kinderschuhe im Internet, weil die anderen schon zu klein geworden sind und macht online einen Arzttermin für sich und einen für die Kinder aus. Die andere Version meines Ichs telefoniert noch mit einer Freundin, hat eine Nachbarin zu Gast, weil das alles gut für die Psyche ist und geht auch noch ins Theater und zum HIIT Training im Fitnessstudio. Dann geht sie noch zur Massage, backt ein Brot selbst, gönnt sich eine Gesichtsbehandlung und einen Saunabesuch. Dann gehe ich wieder zusammengesetzt ins frisch gemachte Bett und zwar rechtzeitig, damit ich wieder um fünf Uhr morgens aufstehen kann.

Wir sollen Konfliktexpertinnen auf Profi-Niveau sein

Du bist schwanger oder gerade frisch gebackene Mutter. Und dann steigst du in diese Welt, in der es nach Babylotion riecht, nach frischer Kinderwäsche, nach süßlicher Babykopfhaut, diese Welt, wo Windeln säuberlich neben Schnullern und Milchflaschen drapiert sind, wo Sterntaler-Mobile über dem Wickeltisch hängen und die Wände mit süßen Tiermotiven dekoriert sind, wo mit Pünktchen verzierte Vorhänge die Fenster umrahmen und Spieluhren vor sich hin klimpern, Wo selbstgemachte Breigläschen im Tiefkühlfach warten und der 1.000 Euro teure Kinderwagen im Flur steht. Aber dann mischt sich da süßlich stinkender Kotgeruch aus dem Windeleimer in diese rosarote und hellblaue Kinderlandschaft, Kotzflecken beschmutzen die Kleidung und den Boden, Babygeschrei lässt dich nicht einschlafen oder gleich wieder aufwachen, nachdem du nur fünf Minuten in einen sofortigen Tiefschlaf gesunken bist, und Menschen sind auf einmal ganz weit weg, die wir jetzt doch so dringend gebrauchen könnten. Bald schon stapeln sich Bücher zu gewaltfreier Kommunikation in deinem Schrank, während die Welt um dich herum dir jeden Tag mit Anlauf, Springerstiefeln und voller Wucht in den Rücken springt.

Aber wir Mütter in privaten Räumen abgeschieden von der Außenwelt, hier sollen wir eine Idylle, eine Scheinwelt aufrecht erhalten, die von draußen nur so mit Füßen getreten wird. Trotzdem soll jeder glaubt, wir würden hier in Harmonie leben und die ganze Gewalt in den Familien sei kein Ausdruck gesellschaftlicher Gewalt, sondern lediglich die psychische Labilität bemitleidenswerter Frauen, die einfach nur an sich arbeiten müssen. Dann hätten wir endlich ein für allemal glückliche Kinder und müssten uns um sie keine Sorgen mehr machen. Jugendämter sind ohnehin überlastet, die Haushaltskassen für soziale Hilfen leer. Also, kauft Euch Ratgeber, liebe Mütter, bucht euch heute noch einen Termin bei einer Therapeutin, hört Selbstfindungs- und Familienpodcasts, damit ihr selbst dafür sorgt, ein liebevolles Zuhause zu schaffen, auch wenn ihr auf dem Zahnfleisch geht, verzweifelt seid, müde, erschöpft, finanziell abgehängt, fremdbestimmt und so weiter und so fort. Ihr sollt im Verborgenen das zelebrieren, was in der Öffentlichkeit nicht gelebt wird. Ihr sollt glücklich und liebevoll sein, auch wenn ihr jeden Tag politisch, wirtschaftlich und sozial im Stich gelassen werdet. Klingt dramatisch? Ist es auch. Erinnere dich mal für einen kurzen Moment: Du kommst aus dem Kranken- oder Geburtshaus nach Hause und hinter dir schlägt die Tür zu.

Und auf einmal realisierst du: Scheiße, ich bin ja ganz allein. Ich bin völlig auf mich gestellt. Und dann wird das süße Kinderzimmer, das hübsch drapierte Familienbett und die kindgerecht eingerichtete Küche plötzlich zu einem Ort der Schwere, der Einsamkeit, der Verzweiflung, des Horrors. Du bekommst keinen Schlaf, das macht dich mürbe, reizbar, aggressiv, aber du darfst es nicht zeigen, geschweige denn ausleben. Du bekommst zu wenig zu Essen, auch das laugt dich aus, macht dich schwach, lässt deine Milch zurückgehen, entzieht dir Energie. Aber auch hier sollst du immer schön lieb und brav bleiben. Du steigst über Wäscheberge, stolperst über herumfliegendes Spielzeug, kannst die Spüle vor lauter dreckigem Geschirr nicht mehr benutzen und stehst vor einem leeren Kühlschrank. Du hältst das Chaos kaum noch aus, es raubt dir Kraft und macht dich wahnsinnig, aber du sollst dem ganzen ein Lächeln schenken und dich fragen, ob du lieber eine entspannte Mutter sein oder eine aufgeräumte Wohnung haben möchtest. Beides wäre echt zu viel verlangt.

Ohnehin sollst du permanent deine Ansprüche herunterschrauben, denn die seien das eigentliche Übel deiner schlechten Laune und des ganzen Stress. Du sollst trotz Schlafentzug und Hunger einfach mal wieder meditieren. Dann würde sich schon alles wieder fügen. Und immer schön die Ratgeber lesen. Du fühlst dich wie eine Sklavin, fremdbestimmt, mit offenen Wunden an Körper und Seel, alles gut weh, deine Arme und Beine fühlen sich an wie Blei, dir platzt fast der Kopf und du willst nur noch schreien, aber dir wird jeden Tag aufs neue nach allen Strapazen das Baby auf deinen geschundenen Körper gelegt, dass du voller Liebe in den Schlaf wiegen und singen sollst, auch wenn dir zum Kotzen elend ist. Aber, pssst, das ist genau ein Fall für die Ratgeber, die sich genau mit diesen Ausnahmezuständen befassen, den du da selbst, aus eigener Schuld heraus kreiert hast. Also Ratgeber für so Schizo-Mütter, wie dich! Denn alle anderen bekommen es doch auch hin. Nur bei dir scheint da was nicht zu stimmen. Diese Gedanken kennst du sicherlich nur zu gut. Du denkst, du seist eine Ausnahme, würdest es einfach nicht gebacken kriegen, während es alle anderen doch irgendwie hinbekommen. Genau das sind die Gedanken, die dir in den Kopf gepflanzt wurden, von kindesbeinen an. Das hat nicht erst jetzt angefangen. So bist du schon in die Schwangerschaft und auch in dein Mutterdasein gepurzelt. Mit diesen so herrlich dich kontrollierenden Gedanken, die genau das tun, was sie sollen. Dich selbst zu deiner schärfsten Kritikerin zu machen und so müde und schwach, dass du niemals, aber auch niemals aufbegehren wirst. Du Versagerin. Nicht war?

Aber hey, wenn dein Kindergarten- oder Schulkind tobt, dich anschreit und so richtig viel Stress zu Hause veranstaltet, dann darfst du nicht ausrasten und dagegen anbrüllen, weil dir alles über den Kopf wächst und du diese Gefühlsaubrüche jetzt nicht auch noch gebrauchen kannst. Nein, die Jahre der Entbehrung und harten Arbeit, die dich völlig ausgezehrt haben, die dürfen nicht sichtbar werden, hier nicht zur Debatte stehen, niemals der Grund für deine Ausraster sein. Nein! Du sollst dich schön im Griff haben und erkennen, dass du bloß bis heute noch nicht an deinen Triggern gearbeitet hast. Denn dein Kind sorgt mit seinen Wutausbrüchen doch nur für sich. Und Du? Du etwa nicht?!?!? Nein, du bist hysterisch, krank und außerdem erwachsen, heißt, du sollst dich gefälligst beherrschen und lächeln, während dir dein Kind die ganze Zeit gegen dein Schienbein tritt. Und dann kommen da so Schlaumeier, wie Tassilo oder Sandra und Jeanine oder Kathy und erzählen dir, dass du bloß alte Wunden weitergibst und du die einzige bist, die es nicht schafft, klar, aufrichtig und verantwortungsvoll zu kommunizieren. Oh, ach echt?

Komisch, in einer Welt, in der mein Leben in Balance war – nämlich vor den Kindern -, hatte ich meine Trigger unter Kontrolle und selbst in stressigen Situationen war das möglich, weil ich wusste, danach kommt wieder eine Zeit der Ruhe. Aber das ist jetzt auf einmal seit Jahren nicht mehr so. Seit Jahren schlafe ich vier bis sechs Stunden und muss den Rest des Tages arbeiten, arbeiten, arbeiten. Und zwar nicht an einem Start-Up oder tollen Buchprojekt, das mir mal viel Kohle bringt, sondern an immer wieder kehrenden Sisyphos-Aufgaben, die nicht enden wollen. Ja, wie der Name schon sagt. Frustrierender und ätzender könnte das nicht sein. In allen andere Berufsbranchen wie der Pflege oder ähnlich Burnout-anfälligen Berufen wird das schon längst erkannt, auch, was das für brutale Folgen für die von ihnen abhängigen Menschen haben kann. Pflegebedürftige werden da schnell mal vernachlässig, angeschrien oder geschlagen. Aber bei Müttern – denen steckt das doch in den Genen, dass sie sich so liebevoll aufopfern und völlig natürlich und fröhlich mit jeglicher Form der Überlastung klarkommen, sobald sie nur in die Augen ihrer Schützlinge schauen…!

Nein, sie braucht keine aktive hands-on Hilfe wie eine Nanny, Reinigungskraft oder hilfsbereiten Kindsvater. Nein, sie soll jetzt die Regeln der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall Rosenberg auswendig lerne und im Schlaf abrufen können (by the way, hat sich schon mal irgendjemand Gedanken über den Vornamen von Rosenberg gemacht?). Und die brav auswendig gelernten Regeln soll sie nun instinktiv und vor allem richtig anwenden können, nämlic immer dann, wenn ihr gerade die Hutschnur hochgeht, der Kragen platzt, der Kamm schwillt oder sie einfach nur schreiend zusammenbrechen will. Klingt dramatisch? Das ist der Alltag der meisten Mütter verdammt nochmal! Kapiert?

Seit der Geburt deiner Kinder hast du nur noch die Hälfte des Geldes, aber die doppelte Arbeit, du bist plötzlich einsam und fühlst dich alleinerziehend, auch wenn du verheiratet bist, du hast kaum noch Erholungsphasen und Freizeit und Sport sind für dich Fremdwörter geworden, schon ein paar Minute in Ruhe auf dem Klo zu sitzen bedeuten eine kurzer Moment des Glücks. So tief bist du gesunken, so tief. Aber nein, das Glucksen deines Kindes, das schiefe Lächeln deines Sprosses, der Sabbermund deines Nachwuchses machen dich ja sooo glücklich. Denn Kinder geben dir ja sooo viel. Dann ist plötzlich deine Rentenlücke egal, deine drohende Altersarmut, dein Schlaf, deine Gesundheit, deine Träume, deine Ziele, du, ja, du bist egal. Nur noch deine Rolle zählt – du Mutter.

Und diese scheinheiligen Angebote von Massage- und Fitness-Studios, die dir sagen, Mama braucht auch mal eine Wellness-Behandlung oder Tee-Marken, die dir den richtigen Beutel für eine ruhige Minute anbieten wollen oder schon wieder nette Ratgeber, die dir sagen, dass du auch mal ne Atemübung machen sollst, auch mal Fünfe gerade sein lassen – die verkaufen dir was? Scheinheiligkeit. Niemand von denen will deinen Müll raustragen, deine Kinder hüten oder deine Wäsche falten und wegräumen. Niemand. Das sollst du bitte weiterhin alles allein machen. Aber ey, du bist ja jetzt Expertin in gewaltfreier Kommunikation. Daher wirst du auch das alles noch weiter ertragen können und bloß nicht aufmucken oder gar politisch werden. Im diesem Sinne, viel Spaß beim Kotzen (heimlich natürlich…).

Hallo ich bin die wütende Mutter

Hallo, ich bin eine AYMie, eine Angry Young Mother. Und ich weiß, ich bin nicht allein. Viele wütende Mütter sind da draußen – das hoffe ich doch. Wütend darüber, dass sie selbst nur die Hälfte verdienen können, seit die Kinder da sind, wütend darüber, dass an ihnen die ganze Betreuungs- und Haushaltsarbeit hängen bleibt, wütend darüber, dass die sich die Nächte allein um die Ohren schlagen müssen, wütend darüber, dass sie immer mit krankem Kind zuhause bleiben müssen, wütend darüber, dass sie alleinerziehend sind. Und dass ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem, was einen irgendwann aus der Haut fahren lässt.

Wütende Frauen, das ist der Graus der Menschheit. Niemand möchte Frauen wütend sehen und schon gar nicht Mütter. Mütter sollen glücklich sein und all den Scheiß mit einem Lächeln ertragen, weil sie ihre Kinder über alles lieben und daher bereit sind, auch dann noch Stiefel zu lecken, wenn ihnen schon der Rücken gebrochen wurde. Ist das nicht ein seltsames Bild, das wir von Müttern haben? Wollen wir wirklich ausgelaugte, finanziell benachteiligte, sozial niedriger gestellte Menschen, die unsere Kinder erziehen? Wollen wir solche Bezugspersonen für unsere Schützlinge? Warum Wut? Weil Wut gut ist.

Sie ist ein Antreiber, sie ist gesund und zeigt uns deutlich auf, wenn etwas gehörig schief läuft. Sie wird immer größer je weniger wir bereit sind, den Status quo hinzunehmen, je mehr unsere Grenzen überschritten werden, je mehr auf uns herumgetrampelt wird, je weniger wir uns respektiert fühlen, je mehr wir Ungerechtigkeit empfinden. Wut befähigt uns, endlich den Mund aufzumachen, unsere Meinung zu sagen, auf den Tisch zu hauen und eine klare Ansage zu machen – sie gibt uns den Mut, jemanden in seine Schranken zu verweisen, von uns zu stoßen und auf Abstand zu halten, wenn wir bislang immer nur das liebe Mädchen waren, das gelernt hat, dass Wut und Aggression sich für Mädchen nicht schickt. Manchmal schießen wir in solchen Momenten übers Ziel hinaus. Aber es ist endlich raus und ein Stein kommt ins Rollen. Warum es so wichtig ist, die Wut gegen die Menschen, Behörden, Politiker und Gesetze zu richten, die einem täglich das Leben zur Hölle machen, ist, weil wir sie nicht gegen unsere Kinder richten wollen. Das hier ist keine Privatveranstaltung. Das hier ist ein riesengroßes politische Problem. Und nur, wenn wir die Umstände endlich ändern, können wir auch endlich die Muttis sein, die sich alle so sehr wünschen.

Brave Kinder – einfaches Leben

Kennt ihr auch die Leute, die Euch sagen, ihr müsst bloß eure Kinder richtig erziehen, dann geht’s auch leichter mit dem Muttersein? „Sie können auch ein Nein verstehen, mit Kleinkindern kann man schon reden und abends gemeinsam schauen, was ist gut gelaufen, was nicht so gut, Kinder müssen auch mal zurückstecken und sehen, dass Mama jetzt in Ruhe ihren Kaffee trinken will, gerade keine Zeit hat und ihr Euch mal zurückziehen sollt.“ Ach ja?

Wir gehen wohl immer noch davon aus, dass Kinder kleine Roboter sind, die dann auch bei gutem, geduldigen Zureden genau das machen, was man von ihnen verlangt, die keinen Protest kennen, kein Autonomiebedürfnis und die keine Stimme haben, die sich so laut erheben kann, so dass man lieber Schnuller, Lieblingspudding oder das Bärchenvideo in Dauerschleife serviert statt zu diskutieren. Diese dummen Ratschläge sind für die Tonne. Denn sie machen die Mütter wieder nur selbst verantwortlich für ihre Misere.

Dieses Denken geht davon aus: machen die Kinder, was man ihnen sagt, dann ist man auch entlastet und das Leben mit Kind ist gar nicht mehr anstrengend. Ist dem nicht so, dann hast Du einfach deine Kinder nicht im Griff, kriegst es mit der Erziehung nicht gebacken, machst deinen Job als Mutter grottenschlecht.

Wie wäre es mal mit echter Hilfe – so mit Hilfe von außen? Denn wir haben es hier immer noch mit Kindern zu tun. Nicht mit einem Erwachsenen, einem eigenverantwortlichen Menschen, sondern mit einem kleinen Kind, das versorgt werden muss und zwar nicht nach Minimalstandards, sondern geordnet, gepflegt, liebevoll, trocken, geborgen und warm. Echte Entlastung ist Hilfe von außen. Menschen, erwachsene Menschen, die mit anpacken, die Kinder abnehmen, den Haushalt abnehmen, die Essenzubereitung abnehmen.

Erholung kommt nicht über Nacht

Endlich schlafen die Kinder eine Nacht pro Woche bei ihrem Vater. Endlich verbringen sie einen kompletten Tag am Wochenende bei ihm. „Ach, toll, dann hast Du endlich frei, genieße es, das ist doch schön, endlich Entlastung,“ sagen Freunde und Verwandte. Und oft sieht man in ihrem Blick einen Ausdruck, der besagt, na, das ist doch einiges, was hast Du denn, das ist doch jetzt easy, oder? Manchmal sagen sie es auch ganz unverblümt. Es rutscht ihnen direkt raus: „Jetzt ist doch gut, oder?“ Und sie fragen sich im Ernst, ob der Begriff alleinerziehend da überhaupt noch angemessen sein mag.

Nur hat der Zustand ohne jegliche Entlastung schon viel zu lange existiert. Über Jahren nämlich. Und der hat Spuren hinterlassen. So sehr, dass ich das Gefühl habe, dass die Menge an Auszeit nicht mit der Menge an Regeneration einhergeht, die ich benötige. Auch wenn ich jetzt mehr Zeit habe, „mehr“ Zeit für mich (8 Stunden an einem Samstag), für „mehr“ Schlaf (1x pro Woche – kein Kommentar), kommt keine richtige Energie rein. Ganz im Gegenteil. Ich habe eher das Gefühl, immer weiter in eine Art Lethargie zu verfallen. Ja, fast schon Depression. Ich habe Null Bock auf Sport, Null Bock auf Kontakte, Null Bock auf das Leben da draußen. Ich will mich nicht schick anziehen, nicht unnötig viel Zeit in die Körperpflege stecken, und auch sonst alles irgendwie einfach nur so durchstehen, ohne groß in Gefühlswallungen kommen zu müssen. Kurzum, ich will mich nicht spüren.

Krumm stehe ich da, mit einem Buckel, der dem Glöckner von Notre Damne alle Ehre machen würde. Der Beckenboden hängt so sehr durch, dass ich dem spineless Professor von clever und smart ähnle und nur noch mit durchgedrücktem Hohlkreuz und Plauze durch die Gegen schlurfe. Ich sehe aus wie ein Lurch. Und ja, ich kann mich in der Tat nicht einmal mehr gerade hinstellen. Alles atrophiert. Meine Körperhaltung entspricht meinem Gemüt. Es ist kein Stolz, kein Feuer, kein Leben in mir. Nur Angst davor, dass wieder jemand was von mir will.

Er ist ja doch kein so großes Arschloch

„Dann ist er doch nicht so ein Arschloch,“ sagt ein Kollege zu mir, beugt sich dabei im Auto etwas zu mir rüber und schaut mich fast belehrend über seinen Brillenrand von unten her an, während er die Klimaanlage im Auto etwas verstellt, weil es zieht. „Natürlich, er ist ganz lieb zu den Kindern,“ bestätige ich, „ich kann sie bedenkenlos bei ihm lassen.“ „Das ist schon die halbe Miete,“ sagt er. „Wer weiß, vielleicht könnt ihr irgendwann mal wieder zusammen wohnen.“ Bitte was???

Ich winke ab. „Ich hab ja keine Ahnung,“ meint er süffisant und fühlt sich in seiner 36 Jahre anhaltenden Beziehung sehr wohl und stolz. Er hat ja keine Ahnung – sprich, er hat diese Probleme nicht. Und auch nicht nötig. Danke für den Hinweis. Gerne hätte ich ihn folgendes gefragt: Wie würdest du dich selbst bewerten, wenn du deine Frau einfach mit drei Monate alten Zwillingen zuhause sitzen lassen würdest, weil sie es einmal gewagt hätte, in einem Moment der völligen Erschöpfung und Verzweiflung zu schreien: Ich kann nicht mehr!!! Du würdest dich dann pikiert von ihr abwenden, weil sie es gewagt hat, einen Nervenzusammenbruch zu haben. Denn du hättest mal wieder geglaubt, dass sie dich persönlich angeschrien hat statt nur in den Raum hinein. Du hättest dir schnurstracks eine neue Wohnung genommen, die du vorsichtshalber schon vorher angemietet hast, weil du eigentlich von vornherein einen Plan B hattest, immer ein Bein schon auf der Straße, weg von allem, der Verantwortung. Wenn sie dich in den nächsten Tagen, in denen du noch ab und an sporadisch vorbekommen würdest, verzweifelt anbetteln würde, doch mal wieder eine Nacht zu bleiben, um dir ein Kind abzunehmen, würdest du ihr ein verächtliches NEIN ins Gesicht spucken und sofort zur Tür stürzen und das Weite suchen.

Wie würdest du dich bewerten, wenn du in den nächsten Monaten immer nur noch ein oder zweimal die Woche top gestylt und braungebrannt zu Besuch kommen würdest, um dich bloß an deiner Fortpflanzung zu erfreuen und dann nach 30 Minuten wieder auf die Uhr zu schauen und aus der Tür zu schweben, da du ja noch verabredet bist. Du würdest wegschauen und ignorieren, dass deine Frau auch im kranken Zustand keinen Schlaf bekommt, sich jeden Tag und jede Nacht um die Kinder kümmern muss. Du würdest anfangs eine drohende Email schicken und sagen, dass sie es erst gar nicht versuchen soll, dich um Unterhalt anzuzapfen, du hättest ohnehin schon genug gezahlt. Du würdest ab sofort dein Single-Leben genießen, Sport machen, so viel wie du willst und wann du willst, in den Urlaub fahren, ohne Rücksicht auf Verluste, vier neue Hobbys zulegen, weil du plötzlich so viel freie Zeit hast, dass du gar nicht weißt, was du damit anfangen sollst, du würdest Freunde treffen, Party machen und so viel arbeiten und mit Kollegen einen trinken gehen, wie es dir in den Kram passt. Du genießt wieder dein altes Leben und kostest es aus – mehr denn je. Du siehst zu, dass deine Kumpels und du weiterhin eure Männerurlaube macht, während deine Frau froh ist, mal in Ruhe duschen zu können. Sie würde für die nächsten drei Jahren zum ersten Mal so etwas wie Urlaub haben – natürlich mit den Kindern zusammen.

Die erste Nacht allein ohne ihre Kinder würdest du ihr nach zwei Jahren endlich gestatten. Davor hattest du einfach keinen Nerv für so was. Außerdem hättest du eh den Eindruck gehabt, sie würde das alles ziemlich gut allein wuppen, sie hätte ohnehin einmal gesagt, dass sie glücklich sei, mal vier Stunden Schlaf zu bekommen. Das hast du dann so gedeutet, dass ihr vier Stunden völlig ausreichen. Du hingegen hättest das Gefühl gehabt, kurz vor einem Herzinfarkt zu stehen. Dass sie selbst seit Jahren Herzrhythmusstörungen hat vor lauter Schlafmangel und Erschöpfung, hast du einfach ignoriert. Irgendwann würdest du immerhin von 10 bis 18 Uhr Zeit mit den Kindern verbringen, aber immer in der Wohnung deiner Ex-Frau, die  in der Pandemie und im Winter keinen anderen Ort hat, wo sie hin kann und euch beim Spielen zuschauen muss. Erst nach fünf Jahren können die Kinder endlich mal bei dir übernachten und dann endlich auch jedes zweite Wochenende bei dir sein. Und dann würdest du allmählich auch mal anfangen, mit ihnen Kurzurlaube zu machen. Weit traust du dich nicht weg, aber immerhin. Bei allem stellst du dich als so lieb und besonnen dar, der nur aufgrund seiner verrückten Ex keine Zeit mit den Kindern verbringen könne. So, und nun frage dich nochmal: Würdest Du sagen, ich war ja doch kein so großes Arschloch?

Mütter sind nicht verrückt – warum wir eine andere Psychotherapie brauchen

Wir sollen positiv denken, dankbar sein, uns was Gutes tun, unsere Ansprüche runterschrauben, nicht immer so hart zu uns selbst sein, auch mal Fünfe grade sein lassen, schlafen, wenn die Kinder schlafen, mehr Yoga machen, meditieren. Dann würde es uns besser gehen. Und geht es der Mama gut, geht es auch dem Kind gut. Ach, neeeiiin! Wirklich? Auf die glorreiche Idee wäre ich im Leben nicht gekommen. Wahnsinn! Danke für diese bahnbrechenden Tipps. Warum ist mir das selbst nicht eingefallen? Komisch, als ich noch keine Kinder hatte, bin ich regelmäßig zum Sport gegangen, in die Sauna, ins Kino, Theater, auf Konzerte, Partys, hab ausgeschlafen, gut gegessen und war nach dem Urlaub auch tatsächlich erholt. Das geht mit Kindern eben nicht mehr so leicht, Ihr Blinsen. Vielleicht hört die Welt mal auf, uns mit Binsenweisheiten abzubügeln und für dumm zu verkaufen. Ist ja auch viel einfacher, einen mit Kalendersprüchen und Zitaten von Buddha und Co ruhigzustellen, statt ganz praktische Hilfe anzubieten.

Essen kochen und vor die Tür stellen, den Einkauf erledigen, Wäsche zusammenlegen, mal durchwischen oder die Kinder hüten. Wie wäre es mal damit? So geht es uns besser, so haben wir mal die Hände frei, so können wir mal durchatmen. Aber nein, uns werden Ratgeber an die Hand gegeben, in denen steht, wie wir uns noch besser organisieren können. Wir werden auf Mutter-Kind Kuren geschickt, mit erbärmlichem Essen, winzigen Zimmern und Zwangsprogramm mit Nordic Walking und Selbstoptimierug, nur um danach wieder im selben Alltag zu landen, wo nach einer Stunde jegliche Erholung verpufft ist, sollte sie sich überhaupt eingestellt haben.

Wir werden an schlecht ausgebildete Coaches oder Therapeut:innen geschickt, die uns erklären, dass wir mehr auf unsere Bedürfnisse achten sollen, weniger wütend zu sein und weniger gereizt mit unseren Kindern. Denn zu Kindern muss man ja lieb sein. Aber echte hands-on Hilfe im Alltag gibt es nicht. Denn der Alltag ist mit Kindern eine einzige Aneinanderreihung von Unberechenbarkeiten. Selbst, wenn ich mir vornehme, an meine Bedürfnisse zu denken und in die Tat umzusetzen, da ist einfach kein Platz. Alles ist im Alltag so auf Rand genäht. Will ich morgen zum Sport, ist eins der Kinder krank, will ich mal länger schlafen, kotzt ein Kind nachts oder träumt schlecht. Dann steht der Geburtstag an, dann eine Abendveranstaltung der Arbeit, dann ein Elternabend, dann der Sport der Kinder, dann ein Fußballturnier der Kids, dann eine kaputte Waschmaschine, dann ein platter Fahrradreifen, dann dies, dann das.

Alles nur Ausreden, um sich nicht um sich selbst kümmern zu müssen? Bloß eine übereifrige To Do-Liste, in der man nur ein wenig Platz für sich schaffen müsste? Nur eine Frage von Prioritäten? Nein, verdammte Scheiße!! Eine Frage mangelnder, ganz praktischer Hilfe! Wie dieser Vixxer, der mich anmacht, als ich mit den Kindern versehentlich auf einen Radweg gerate und er mich fast überfährt, weil er sich im Recht sieht, diesen nur für ihn angelegten Radweg entlang rasen zu dürfen, während ich schweißgebadet mein Fahrrad halb trage, halb ziehe, da ich einen Platten habe.

„Du Arschloch!“, schreie ich ihn an. Er hält an und meint, mir Paroli bieten zu können. Aber er weiß nicht, dass er eine völlig überabreite Mutter vor sich hat. „Du scheiß Single! Du musst dich nur um deine Scheiße kümmern!“ Ich schreie, wie von Sinnen – und ja, ich bin von Sinnen. Meine Kinder halten sich die Ohren zu. Der Mann schnaubt verächtlich, will etwas sagen, aber er findet keine Worte. „Wie wär’s, wenn du mir mit meinem Platten hilfst, das wäre mal was!“ füge ich kreischen hinzu. Aber er hilft mir nicht. Er lässt mich einfach stehen. Dabei liegen noch 1.000 Meter vor mir, auf denen ich dieses Rad nach Hause schleppen muss. Und dieser Radsportler hätte mir mit Sicherheit weiterhelfen können. Aber er tut es nicht.

Schämen soll ich mich, sagt meine Therapeutin, die einen richtigen Ekel vor wütenden Müttern zu haben scheint. Zitternd und fast den Tränen nah, erzähle ich ihr von diesem erniedrigen Erlebnis. Aber sie hat kein Verständnis für meine Verzweiflung, keinen Blick für den Zusammenhang, kein Gespür für den Hintergrund. Ich glaube, sie weiß überhaupt nicht, wovon ich überhaupt rede.

In Deutschlandfunk Kultur spricht der Psychotherapeut Thorsten Padberg darüber, dass vor allem Alleinerziehende von Depressionen betroffen sind. Nicht, weil sie von Hause aus einen Schuss haben, sondern weil ihre extreme Situation sie depressiv macht. Schlafmangel, alles allein schultern zu müssen, immer unter Strom zu stehen, die volle Verantwortung für die Kinder tragen zu müssen, dazu noch berufstätig zu sein. Das zwingt jeden in die Knie.

Wir brauchen keine psychologische Begleitung, damit wir bessere Mütter werden. Und wir brauchen auch keine Mutter-Kind-Kuren, in der wir zwangsoptimiert werden sollen. Wir brauchen staatliche geförderte Haushaltshilfen, Essenslieferungen, Kinderbetreuung und eine familienfreundliche Arbeitswelt. In den letzten sieben Jahren habe ich mich immer wieder an Coaches, Heilpraktiker:innen, Psychoatherapeut:innen und sogar Psychiater:innen gewandt. Niemand konnte mir die Last nehmen. Das einzige, was sie konnten, ist mir Durchhaltetechniken zu vermitteln. Denn nichts anderes ist es, was ihnen möglich ist. Sie können unsere prekäre Lebenssituation nicht lösen. Sie können nur Tipps geben, wie wir die ganze Misere besser aushalten und nicht aus dem Fenster springen.