Was hat sie getan, dass er so ausrastet?

Nach einem Femizid wird immer wieder davon ausgegangen, dass die Frau der Auslöser ihrer eigenen Ermordung war. Zu wenig wird gefragt, warum der Mann zu einer solchen Tat fähig war oder warum ihn niemand stoppen konnte.

Wir haben 2025 unseren ersten Femizid in Deutschland. Direkt nach Neujahr. Kein Wunder. Zu den Feiertagen ereignen sich die meisten Gewalttaten in Familien und in der Partnerschaft. Männer sind nun zuhause und haben mehr Zugriff auf ihre Angehörigen. Die Nerven sind bei allen angespannt, Emotionen kochen hoch, Streit eskaliert. Oder aber, lang geplante Tötungsfantasien werden nun in die Tat umgesetzt. Es ist Hamburg, 2. Februar 2025, als ein 38-jähriger Mann seine gleichaltrige Frau mit einem Messer tödlich verletzt – vor den Augen des dreijährigen Kindes. Sie stirbt noch vor Ort.

Als ich mit Kolleg:innen und Bekannten darüber spreche, fällt mir eines besonders auf – niemand kann diese Tat für sich so richtig einordnen, es gibt eine diffuse Bestürzung, aber niemand weiß, wie er oder sie damit umgehen soll. Und noch etwas ist bemerkenswert, ich bekomme Fragen und Kommentare wie: „Was hat die Frau denn gemacht, dass der Mann so ausgerastet ist?“ „Egal, was sie getan hat, deswegen muss man nicht gleich zustechen.“ oder „Vermutlich war der Mann angetrunken, im Alkoholrausch kann so etwas leichter passieren.“ Ich bin schockiert. Denn, in all den Aussagen wird der Täter in Schutz genommen. Die Frau muss ihn gereizt haben, sie war der Auslöser, sie hat ihn zur Weißglut gebracht und außerdem war der arme Kerl vermutlich alkoholisiert. Da kann man schon mal zum Messer greifen und im Affekt zustechen – auch wenn sich das nicht gehört. Als ob das Abstechen seiner Frau ein Kavaliersdelikt sei. Wenig ehrenrührig, aber irgendwie verständlich. Nun ist es aber so: Frauen werden von ihren (Ex-)Partnern nicht ermordet, weil sie sich nicht benommen haben (was auch immer darunter zu verstehen ist). Sie werden getötet, weil sie Frauen sind. So einfach, so schlimm. Während in ausländischen Medien genau deshalb der Begriff Femizid in den Nachrichten erscheint, wird in Deutschland eine solche Tat noch immer nicht eindeutig benannt.

Keine Affekt-Handlung

Beschäftigt man sich mit Femiziden, dann wird schnell klar, solche Taten passiere selten im Affekt. Sie haben fast immer eine Vorgeschichte, teils voller Gewalt, und sie sind meist geplant. Die Tatwaffen werden beschafft, der Zeitpunkt und der Ort genau gewählt und die Frau im richtigen Moment abgepasst. Bis ein Mann die Tat ausführt, durchläuft die Beziehung zu seinem Opfer mehrere Phasen. Das sogenannte 8-Stufen-Modell wurde von der britischen Kriminologin Jane Monckton Smith aufgestellt. Auch gibt es mittlerweile einen Fragebogen zur Risikogefährdung von Frauen, anhand dessen sie oder die Polizei feststellen kann, ob ihr Partner vorhat, sie zu töten.

Unsere Omas waren noch im Besitz ihrer Ehemänner

Bevor hier der Eindruck entsteht, man würde alle Männer als grundlegend böse und frauenfeindlich einstufen, hier ein kurzer Disclaimer – wir leben in einer frauenfeindlichen Welt mit patriarchalen Strukturen, in den wir alle daran mitwirken, dass Mädchen und Frauen wirtschaftlich benachteiligt sind, somit in größerer Abhängigkeit leben und damit stärker Gewalt ausgesetzt sind. Und wir haben alle trotz Aufklärung und Fortschritt noch ziemlich klischeehafte Bilder von Mann und Frau und vor allem von Familie im Kopf. Unsere Omas waren noch „im Besitz“ ihrer Ehemänner, hatten kein eigenes Einkommen, wenn er es nicht wollte, waren damit wirtschaftlich völlig abhängig und durften erst 1977 frei einer Erwerbstätigkeit nachgehen, während sie das vorher nur durften, wenn sie ihre häuslichen Pflichten nicht vernachlässigten. Auch heute noch hängt die Care-Arbeit an Frauen, was dazu führt, dass sie oft nur Teilzeit arbeiten und über eine geringere wirtschaftliche Kraft verfügen. Das macht abhängig. Das Recht des Mannes, über die Ehefrau sexuell jederzeit verfügen zu dürfen, wurde erst 1997 abgeschafft, als die Vergewaltigung in der Ehe endlich als Straftat anerkannt wurde.

Trennung bedeutet Lebensgefahr

Gerade dieses geschichtlich noch bis heute nachwirkende Besitzdenken vieler Männer und die Angst vor Kontrollverlust, wenn die Frau ihn verlassen möchte, führen bei einigen dazu, dass sie für sich keine andere Lösung sehen, als die Frau zu töten. Wenn sie sie nicht haben können, dann keiner. Die Phasen bis zum Mord beginnen damit, dass der Mann die Frau in der Beziehung sehr früh sehr fest an sich bindet und schnell stärkere Kontrollmechanismen auffährt. Er möchte nicht, dass sie sich mit bestimmten Freund:innen trifft, will, dass sie den Kontakt zur eigenen Familie einschränkt. Er kontrolliert ihr Handy oder nimmt es ihr ganz weg. Manche tracken ihre Frau per GPS-Sender oder stalken sie auf dem Weg zur Arbeit oder zu Verabredungen. Wird es der Frau zu viel und sie trennt sich, dann ist das der Moment, in dem die Frau oft schon in Lebensgefahr schwebt. Die Trennung ist der sensibelste Moment für sie. Hier entsteht oft der sogenannte Trigger beim Mann, der dann zur Eskalation führt. Er bedrängt sie massiv, will sie umstimmen, zu ihm zurückzukehren. Kommt es dann zu einem erneuten Treffen, passiert es nicht selten, dass hier der Mann die Frau körperlich bedroht, bereits Gewalt anwendet oder sogar schon einen ersten Tötungsversuch unternimmt. Die Gefahr, dass der Täter nun – trotz polizeilicher Auflagen – einen tatsächlichen Mord plant, ist nun immens hoch. 

Durch alle Schichten hindurch

In Hamburg war es ein 38-jähriger Software-Manager, der seine gleichaltrige Frau, eine Managerin bei der Lufthansa, niederstach. „Was? Ich dachte, so etwas passiert nur in sozial schwachen Familien,“ so meine Nachbarin, als ich ihr die Berufe und das Alter der beiden nenne. Das zeigt, Gewalt gegen Frauen verläuft durch alle Schichten. Und es ist nicht einmal kultur- oder religionsspezifisch. Es existiert in jedem Land, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. In Europa werden die meisten Femizide in Deutschland gezählt, wobei die hohe Zahl mit der hohen Einwohnerzahl zusammenhängt. Die bevölkerungsbezogene Rate war jedoch in Griechenland am höchsten, gefolgt von Portugal und Malta.

Teil der Popkultur

Wie normal männliche Eifersucht und tödliche Liebe in unserer Gesellschaft erlebt wird, zeigt sich sehr deutlich in unserer Popkultur: Die Toten Hosen mit ihrem Lied „Alles aus Liebe“, „Under my thumb“ von Mick Jagger oder das gewaltverherrlichende Video von Maroon 5 zum Song „Like Animals“ sind nur einige Beispiele aus der Popmusik. In Filmen wie „Passengers“ oder der Literatur wie „Woyzeck“ wird Gewalt gegen Frauen in Beziehungen immer wieder romantisiert. Viele True Crime Podcasts tun derzeit ihr übriges.

Keine Einzelschicksale, keine Verzweiflungstat

Was bei der Berichterstattung immer wieder auffällt, ist, dass die Beziehungstaten oft als Einzelschicksale beschrieben werden. Immer wieder wird davon berichtet, dass es Beziehungsprobleme gegeben hätte, einen Streit, Rosenkrieg, ein Ehedrama, es sei eine Verzweiflungstat gewesen. Im jetzigen Fall in Hamburg wird der Frau sogar angedichtet, sie habe ihr Kind mit Kokain vergiften wollen. Dabei stirbt jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau durch ihren (Ex-)Partner. Und der Weg vom Beginn der Beziehung bis zur Tötung folgt immer gleichen Mustern. Es muss endlich erkannt werden, dass diese Taten gesellschaftlich einzubetten sind in unsere patriarchalen Strukturen. Es braucht ein Netzwerk, das Frauen, die sich von gewalttätigen Männern trennen wollen (das kann auch psychische oder finanzielle Gewalt sein), nach der Trennung auffängt und schützt, gerade, wenn Kinder mit im Spiel sind. Wir sollten endlich begreifen, dass dies der Grund ist, dass Frauen sich so lange nicht trennen und vor gewalttätigen Partner weglaufen, weil der Terror nach der Trennung oft noch schlimmer sein kann als davor – bis hin zum Mord.

——————-

….Und jetzt, nachdem ich über diesen Fall nachdenke und mich mit dem 8-Stufen-Modell der Kriminologin Jane Monckton Smith beschäftigt habe, fällt mir ein, dass ich allein vier Mütter kenne, die nach der Trennung von ihren Männern immer noch psychische Gewalt erfahren und mit Drohungen konfrontiert werden. Zwar besteht bei ihnen mit Sicherheit keine Gefahr für Leib und Leben, aber die Kränkung des Mannes durch die Trennung der Frau hat extreme Nachwirkungen. Und das schlimmste, die Frauen haben immer wieder ein ungutes Gefühl, teils Angst, trauen sich nicht zu wehren, wollen ihre Kinder nicht gefährden und halten deswegen still.

Ist gleich vorbei – Gewalt beim Frauenarzt

Ich bin heute in einer gynäkologischen Praxis, um mir ein Pessar anpassen zu lassen. Das ist ein würfelähnliches Ding aus Silikon, was in der Vagina Stabilität erzeugt, wenn man unter Senkungsschmerzen leidet. Auf Deutsch gesagt, wenn alles unten hängt, weil man zum Beispiel Zwillinge geboren, diese auch danach gleichzeitig getragen hat und nie die Chance auf Rückbildung hatte. Ja, das gibt’s. Das kann zu Inkontinenz führen, erschwerter Verdauung und Schmerzen in den Organen und Muskeln, weil im unteren Bauch und Beckenbodenbereich die Stütze vollkommen weg ist und nichts mehr an seinem richtigen Platz ist, also auch einiges eingequetscht werden kann. Das kann bis zu massiven Darmbeschwerden und höllisches Brennen und Stechen im Körper führen, hat also weitreichende Folgen.

Der Arzt – ein älterer Herr, bei dem ich sonst nicht bin, der aber die Praxis leitet – habe ich den Termin. Ein erfahrener Mann, der sich aber mehr als unerfahren benimmt. Er holt das Pessar aus der Packung – mit bloßen Händen. Er trägt keine Handschuhe und nimmt es in seine Faust, während er noch einmal zurück zum Computer geht, um irgendetwas nachzuschauen. Er hält es in Händen, die bereits Türklinken und spackige Tastatur angefasst haben, durch seine Haare gestrichen und unter seiner Nase entlangefahren sind. Dann fällt ihm das Pessar auf den Boden. Tschuldigung nuschelt er und ich gehe davon aus, dass er es in den Mülleimer wirft und ein neues holt. Nein, er wäscht es unter fließendem Wasser ab. Ich denke, dass dies vielleicht sogar ganz gut ist, dass es auf den Boden gefallen ist und jetzt endlich von den Keimen seiner Hände gereinigt wird. Als er fertig ist, knallt er es wieder ungeschützt auf eine sich daneben befindliche Ablage. Keine Ahnung, ob diese sauber ist.

Ich beobachte alles vom gynäkologischen Stuhl aus, auf dem ich mit zusammengekniffenen Knien sitze und denke an meine Vagina, die auf Keime schnell mal mit einer Entzündung reagiert und in die ich keine Keime vom Boden haben möchte. Dann zieht er Handschuhe an, schmiert Gleitgel auf das Pessar, was mich erneut ein wenig beruhigt, da es wieder eine Schutzschicht bedeutet. Er steht vor mir uns schiebt unter Gewalt das Pessar in meine Vagina. Ich ziehe laut Luft durch meine Zähne und rufe „Au!“. „Ja, ist ja auch gleich vorbei,“ antwortet er lapidar. In dem Moment werde ich still.

Jetzt wäre der Moment, sich zu beschweren, aufzustehen und zu gehen. Aber ich sage nichts. Ich bin wie betäubt. Er zieht es wieder heraus und ich überlege kurz, ob es wieder so wehtun würde. Er befindet das Pessar für gut und verschreibt es mir. Ich ziehe mich wieder an, sitze stumm auf dem Stuhl und warte, bis ich alles ausgehändigt bekomme. Er scheint selbst ein wenig zu bemerken, dass ich sehr still geworden bin. Sagt noch so etwas, wie „Ich hoffe, das wird ihnen helfen“, während ich nur daran denke, wo ich mich schnellstmöglich waschen kann.

Als er die Worte „Es ist gleich vorbei“ sagte, fiel mir der ZEIT-Podcast „Ist das normal ein?“ ein. Und zwar die Folge vom 6. Mai 2024 zum Thema Gynäkologie. „Sätze wie ‚Geht auch schnell‘ oder ‚Schicke Intimfrisur‘ sind Gewalt“ sagen die Ärztinnen Colette Gras und Claudia Schumann-Doermer. Und genau das habe ich soeben erlebt. Ich bin froh, dass ich kein Mensch bin, der in seinem Leben bereits Opfer massiver sexueller Gewalt geworden ist, sonst wäre ich in dem Moment sicherlich stark retraumatisiert worden. Aber dennoch: auch ich erlebe diesen Moment als Gewalt.

Ich bekomme während meines Besuchs in der Praxis und in Präsenz dieses Mannes den Mund nicht auf, ich traue mich nicht zu sagen „Das war nicht in Ordnung“ und gleichzeitig denke ich, es bringt auch nichts, nur ihm das zu sagen, es muss das ganze Team erfahren. Der leitende Arzt würde es vermutlich nur vertuschen und nicht weiter thematisieren wollen. Also entschließe ich mich dazu, eine Email an die gesamte Praxis zu schreiben, und die gesamte Belegschaft auf das Thema Gewalt in der Gynäkologie aufmerksam zu machen, ohne mit dem Finger auf den besagten Arzt zu zeigen. Den ZEIT-Podcast mit den Hosts Melanie Büttner und Sven Stockrahm schicke ich gleich mit dazu.

>>Danke, dass es Euch beiden gibt, denn so fühle ich mich gerade nicht ganz so allein und ausgeliefert.<< https://www.zeit.de/gesundheit/2024-05/gynaekologie-arzt-angst-scham-sexpodcast

Stillen in der Öffentlichkeit – Baby hungert

Wenn Du ein Problem damit hast, dass Frauen in der Öffentlichkeit stillen, und Du Dir wünschst, dass es ihnen verweigert wird, dann schadest Du nicht nur der Frau, sondern Du schadest ganz explizit dem Kind. Denn Du verweigerst dem Baby die Nahrungsaufnahme! Du willst, dass das Kinder hungert, dass es nichts zu trinken/essen bekommst. Du willst nicht, dass es gefüttert/gestillt wird. Du findest es OK, dass das Baby vor Hunger und Durst schreit, dass es hier und jetzt nichts in seinen kleinen Magen bekommt, dass es keinen Hautkontakt haben darf, dass es keine Ruhe finden darf, dass es einfach das bekommt, was Du gerade vermutlich in einem Restaurant oder Café zu Dir nimmst – Nahrung!

Aber Du schließt auch die Mutter aus dem öffentlichen Leben aus. Du willst nicht, dass sie teilhat am Leben draußen auf der Straße, in Cafés, in Restaurants, in Parks, in Kaufhäusern – eben überall dort, wo Du Dich außerhalb Deines Zuhauses aufhältst, Besorgungen machst, Freund:innen triffst, es Dir gutgehen lässt.

Du hast nicht nur ein Problem mit Brüsten und schmatzenden Babys in der Öffentlichkeit, während Du Dir in Pornos vermutlich zuhauf nackte Brüste reinziehst. Du hast auch ein Problem damit, dass ein Baby etwas ganz Grundlegendes verlangt – Nahrung! Arsch