Mütter sind nicht verrückt – warum wir eine andere Psychotherapie brauchen

Wir sollen positiv denken, dankbar sein, uns was Gutes tun, unsere Ansprüche runterschrauben, nicht immer so hart zu uns selbst sein, auch mal Fünfe grade sein lassen, schlafen, wenn die Kinder schlafen, mehr Yoga machen, meditieren. Dann würde es uns besser gehen. Und geht es der Mama gut, geht es auch dem Kind gut. Ach, neeeiiin! Wirklich? Auf die glorreiche Idee wäre ich im Leben nicht gekommen. Wahnsinn! Danke für diese bahnbrechenden Tipps. Warum ist mir das selbst nicht eingefallen? Komisch, als ich noch keine Kinder hatte, bin ich regelmäßig zum Sport gegangen, in die Sauna, ins Kino, Theater, auf Konzerte, Partys, hab ausgeschlafen, gut gegessen und war nach dem Urlaub auch tatsächlich erholt. Das geht mit Kindern eben nicht mehr so leicht, Ihr Blinsen. Vielleicht hört die Welt mal auf, uns mit Binsenweisheiten abzubügeln und für dumm zu verkaufen. Ist ja auch viel einfacher, einen mit Kalendersprüchen und Zitaten von Buddha und Co ruhigzustellen, statt ganz praktische Hilfe anzubieten.

Essen kochen und vor die Tür stellen, den Einkauf erledigen, Wäsche zusammenlegen, mal durchwischen oder die Kinder hüten. Wie wäre es mal damit? So geht es uns besser, so haben wir mal die Hände frei, so können wir mal durchatmen. Aber nein, uns werden Ratgeber an die Hand gegeben, in denen steht, wie wir uns noch besser organisieren können. Wir werden auf Mutter-Kind Kuren geschickt, mit erbärmlichem Essen, winzigen Zimmern und Zwangsprogramm mit Nordic Walking und Selbstoptimierug, nur um danach wieder im selben Alltag zu landen, wo nach einer Stunde jegliche Erholung verpufft ist, sollte sie sich überhaupt eingestellt haben.

Wir werden an schlecht ausgebildete Coaches oder Therapeut:innen geschickt, die uns erklären, dass wir mehr auf unsere Bedürfnisse achten sollen, weniger wütend zu sein und weniger gereizt mit unseren Kindern. Denn zu Kindern muss man ja lieb sein. Aber echte hands-on Hilfe im Alltag gibt es nicht. Denn der Alltag ist mit Kindern eine einzige Aneinanderreihung von Unberechenbarkeiten. Selbst, wenn ich mir vornehme, an meine Bedürfnisse zu denken und in die Tat umzusetzen, da ist einfach kein Platz. Alles ist im Alltag so auf Rand genäht. Will ich morgen zum Sport, ist eins der Kinder krank, will ich mal länger schlafen, kotzt ein Kind nachts oder träumt schlecht. Dann steht der Geburtstag an, dann eine Abendveranstaltung der Arbeit, dann ein Elternabend, dann der Sport der Kinder, dann ein Fußballturnier der Kids, dann eine kaputte Waschmaschine, dann ein platter Fahrradreifen, dann dies, dann das.

Alles nur Ausreden, um sich nicht um sich selbst kümmern zu müssen? Bloß eine übereifrige To Do-Liste, in der man nur ein wenig Platz für sich schaffen müsste? Nur eine Frage von Prioritäten? Nein, verdammte Scheiße!! Eine Frage mangelnder, ganz praktischer Hilfe! Wie dieser Vixxer, der mich anmacht, als ich mit den Kindern versehentlich auf einen Radweg gerate und er mich fast überfährt, weil er sich im Recht sieht, diesen nur für ihn angelegten Radweg entlang rasen zu dürfen, während ich schweißgebadet mein Fahrrad halb trage, halb ziehe, da ich einen Platten habe.

„Du Arschloch!“, schreie ich ihn an. Er hält an und meint, mir Paroli bieten zu können. Aber er weiß nicht, dass er eine völlig überabreite Mutter vor sich hat. „Du scheiß Single! Du musst dich nur um deine Scheiße kümmern!“ Ich schreie, wie von Sinnen – und ja, ich bin von Sinnen. Meine Kinder halten sich die Ohren zu. Der Mann schnaubt verächtlich, will etwas sagen, aber er findet keine Worte. „Wie wär’s, wenn du mir mit meinem Platten hilfst, das wäre mal was!“ füge ich kreischen hinzu. Aber er hilft mir nicht. Er lässt mich einfach stehen. Dabei liegen noch 1.000 Meter vor mir, auf denen ich dieses Rad nach Hause schleppen muss. Und dieser Radsportler hätte mir mit Sicherheit weiterhelfen können. Aber er tut es nicht.

Schämen soll ich mich, sagt meine Therapeutin, die einen richtigen Ekel vor wütenden Müttern zu haben scheint. Zitternd und fast den Tränen nah, erzähle ich ihr von diesem erniedrigen Erlebnis. Aber sie hat kein Verständnis für meine Verzweiflung, keinen Blick für den Zusammenhang, kein Gespür für den Hintergrund. Ich glaube, sie weiß überhaupt nicht, wovon ich überhaupt rede.

In Deutschlandfunk Kultur spricht der Psychotherapeut Thorsten Padberg darüber, dass vor allem Alleinerziehende von Depressionen betroffen sind. Nicht, weil sie von Hause aus einen Schuss haben, sondern weil ihre extreme Situation sie depressiv macht. Schlafmangel, alles allein schultern zu müssen, immer unter Strom zu stehen, die volle Verantwortung für die Kinder tragen zu müssen, dazu noch berufstätig zu sein. Das zwingt jeden in die Knie.

Wir brauchen keine psychologische Begleitung, damit wir bessere Mütter werden. Und wir brauchen auch keine Mutter-Kind-Kuren, in der wir zwangsoptimiert werden sollen. Wir brauchen staatliche geförderte Haushaltshilfen, Essenslieferungen, Kinderbetreuung und eine familienfreundliche Arbeitswelt. In den letzten sieben Jahren habe ich mich immer wieder an Coaches, Heilpraktiker:innen, Psychoatherapeut:innen und sogar Psychiater:innen gewandt. Niemand konnte mir die Last nehmen. Das einzige, was sie konnten, ist mir Durchhaltetechniken zu vermitteln. Denn nichts anderes ist es, was ihnen möglich ist. Sie können unsere prekäre Lebenssituation nicht lösen. Sie können nur Tipps geben, wie wir die ganze Misere besser aushalten und nicht aus dem Fenster springen.